Können Absencen eindeutig von Tagträumen abgegrenzt werden?

Trishka, Saturday, 28.10.2023, 16:54 (vor 407 Tagen)

Liebe Community,

ich habe vor ein paar Jahren eine Absence-Epilepsie diagnostiziert bekommen. Der Neurologe schloss aufgrund meiner Schilderungen "mich manchmal wie geistig abwesend fühlen seit der Kindheit" darauf.

Ich war schon immer sehr verpeilt und so sind mir einige merkwürdige Dinge passiert. Ich machte z.B. beim Radfahren plötzlich einen Schlenker und knallte mit dem Lenker gegen ein parkendes Auto. Ich fiel plötzlich vom Pferd, obwohl ich einige Minuten vorher noch einen guten Sprung über das Hindernis hingelegt hatte. Ich steckte eine Klassenarbeit in meine Schultasche und nahm sie mit nach Hause statt sie beim Lehrer abzugeben. Ich verließ ein Geschäft und vergaß einfach, vorher zu bezahlen (peinlich, es wurde natürlich bemerkt). So kam es natürlich immer wieder zu Situationen, mit denen ich mir Ärger einhandelte.

Bis heute habe ich große Probleme, wenn ich einen Stapel Blätter kopieren muss. Es funktioniert nur, wenn der Kopierer nicht zwischendurch Papierstau hat oder neues Papier eingelegt werden muss. Denn dann weiß ich anschließend nicht mehr, was habe ich schon kopiert und was noch nicht. Eines von vielen Beispielen, warum ich in einem Bürojob untragbar war.

Für das alles sollen Absencen verantwortlich sein.

Es ist aber auch so, dass ich schon in meiner Kindheit viel mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt war. Ganz oft wegen eigener Probleme oder den ständigen Konflikten in meiner Familie. Manchmal habe ich ganze Unterrichtsstunden "verträumt". Schon in meiner Kindheit bestand eine Neigung zu Depressionen.

Im EEG sind keine Absencen aufgetreten. Es waren nur einige spike wave Komplexe unter und nach Hyperventilation zu sehen. Daher schloss der Neurologe auf eine erhöhte Anfallsbereitschaft.

Muss ich davon ausgehen, tatsächlich Epilepsie zu haben?

Oder kann das Ganze trotzdem mit "mich gedanklich ausklinken/mich wegträumen" zu tun haben?

Liebe Grüße

Trishka

Können Absencen eindeutig von Tagträumen abgegrenzt werden?

Sanktus Achzehn, Sunday, 29.10.2023, 22:20 (vor 406 Tagen) @ Trishka

Hallo Trishka,

vermutlich wirst du das nur zusammen mit Ärzten endgültig herausfinden können. Tagträume halte ich bei Gefahrensituationen, wie z. B. vom Pferd fallen, für eher unwahrscheinlich. Zumindest würde ich erwarten, dass du im letzten Moment hochschreckst und das Fallen zwar ggf. nicht mehr verhindern kannst, aber eben doch wahrnimmst. "Geistig abwesend fühlen" - was ja noch mal etwas anderes ist, als "abwesend sein" - klingt auch eher nach Epilepsie. Es ist zwar relativ normal, dass man gelegentlich gedanklich abdriftet, kann sich aber eigentlich jederzeit daraus wieder "ins Jetzt" zurück bringen. Was Dinge wie den Kopierer anbelangt, so kann es allerdings auch einfach sein, dass die Gedanken abschweiften. Bei einer so langweiligen Tätigkeit ja auch kein Wunder. :) Was ich sagen will: ggf. ist das auch einfach eine Mischung aus verschiedenen Dingen. Womöglich hast du auch schlicht psychogene Anfälle. Die äußern sich zwar in der Regel eher ähnlich wie Grand-Male-Anfälle, in seltenen Fällen m. W. aber auch wie andere Arten Epileptischer Anfälle. Das ist in der Regel aber nicht mal für Ärzte so eben eindeutig festzustellen.

Um herauszufinden, was bei dir Sache ist, würde sich sicherlich ein stationärer Aufenthalt zur Abklärung anbieten. Wobei das auch ein bisschen abhängig davon ist, wie häufig diese "Zustände" auftreten. Stationär wärst du jedenfalls unter Video-Beobachtung, was den Ärzten schon mal ziemlich hilft, sollte etwas auftreten. Bei einem 48-Stunden-EEG (oder ggf. auch einem Langzeit-EEG) könnte man - sofern diese Absencen auftreten - auch deutlich sehen, ob es sich um eine Epilepsie handelt oder nicht. Dann wüsste man immerhin das schon einmal. Solche Untersuchungen finden in auf Epilepsie spezialisierten Kliniken statt. Sprich vielleicht mal mit deinem Neurologen (oder auch Hausarzt) darüber, was er dazu meint.

Gruß,
Sanktus Achzehn

Können Absencen eindeutig von Tagträumen abgegrenzt werden?

Trishka, Monday, 30.10.2023, 17:11 (vor 405 Tagen) @ Sanktus Achzehn

Hallo Trishka,

vermutlich wirst du das nur zusammen mit Ärzten endgültig herausfinden können. Tagträume halte ich bei Gefahrensituationen, wie z. B. vom Pferd fallen, für eher unwahrscheinlich. Zumindest würde ich erwarten, dass du im letzten Moment hochschreckst und das Fallen zwar ggf. nicht mehr verhindern kannst, aber eben doch wahrnimmst. "Geistig abwesend fühlen" - was ja noch mal etwas anderes ist, als "abwesend sein" - klingt auch eher nach Epilepsie. Es ist zwar relativ normal, dass man gelegentlich gedanklich abdriftet, kann sich aber eigentlich jederzeit daraus wieder "ins Jetzt" zurück bringen. Was Dinge wie den Kopierer anbelangt, so kann es allerdings auch einfach sein, dass die Gedanken abschweiften. Bei einer so langweiligen Tätigkeit ja auch kein Wunder. :) Was ich sagen will: ggf. ist das auch einfach eine Mischung aus verschiedenen Dingen. Womöglich hast du auch schlicht psychogene Anfälle. Die äußern sich zwar in der Regel eher ähnlich wie Grand-Male-Anfälle, in seltenen Fällen m. W. aber auch wie andere Arten Epileptischer Anfälle. Das ist in der Regel aber nicht mal für Ärzte so eben eindeutig festzustellen.

Um herauszufinden, was bei dir Sache ist, würde sich sicherlich ein stationärer Aufenthalt zur Abklärung anbieten. Wobei das auch ein bisschen abhängig davon ist, wie häufig diese "Zustände" auftreten. Stationär wärst du jedenfalls unter Video-Beobachtung, was den Ärzten schon mal ziemlich hilft, sollte etwas auftreten. Bei einem 48-Stunden-EEG (oder ggf. auch einem Langzeit-EEG) könnte man - sofern diese Absencen auftreten - auch deutlich sehen, ob es sich um eine Epilepsie handelt oder nicht. Dann wüsste man immerhin das schon einmal. Solche Untersuchungen finden in auf Epilepsie spezialisierten Kliniken statt. Sprich vielleicht mal mit deinem Neurologen (oder auch Hausarzt) darüber, was er dazu meint.

Gruß,
Sanktus Achzehn

Hallo Sanktus Achzehn,

vielen Dank für deine ausführliche und hilfreiche Antwort!

Ja, bei mir ist in solchen Situationen immer das Gefühl da gewesen, dass ich mich abwesend gefühlt habe.
Ich selbst sehe mich dabei ja leider nicht. Nur haben Andere mir teilweise eine Rückmeldung gegeben, wie ich mich verhalte.

In meiner Kindheit hat mich meine Mutter desöfteren gefragt, warum ich beim Essen vor mich hinstöhne. Mir war gar nicht bewusst, dass ich irgendwelche Laute von mir gab. Vielleicht habe ich auch hin und wieder über die schlechten Kochkünste meiner Mutter gestöhnt. ;-)
Eine Kollegin hat mich in meinem ersten Job (da war ich Anfang 20) imitiert, weil ich angeblich manchmal kurz die Augen zu einer Seite verdrehte und das bei halb geöffnetem Mund! Echt peinlich.
Mein ehemaliger Vorgesetzter sprach mich einige Male so komisch an, als ich mal mitten im Büro kurze Zeit an einem Fleck stand. Da war mir nicht so richtig bewusst, ob ich gerade weggetreten gewesen war. Jedenfalls fragte er mich, was los sei, ob ich gefallen bin!

Dass das Ganze psychisch bedingt sein könnte, wäre jetzt nicht so von der Hand zu weisen. Immerhin bin ich im Job sehr häufig sehr angespannt.

Eigentlich hatte ich viele Jahre vor der Epilepsie-Diagnose den Verdacht auf ADS. Es passte fast alles. Ich war nicht nur immer schon verträumt und unkonzentriert, sondern auch in Allem sehr langsam und unorganisiert. Ich war auch in zwei Kliniken zur Diagnostik. Der eine Psychiater schloss ADS definitiv aus, da ich im Gespräch so konzentriert gewesen sei. Was ich als Einschätzung etwas dürftig fand. Der andere Psychiater war der Meinung, ADS KÖNNTE vorliegen, er sei sich aber nicht sicher. Die ganzen Fragebögen, die ich hatte ausfüllen müssen, hätten nichts Eindeutiges hergegeben. In den Gesprächen hätte ich mich konzentriert gezeigt, sei aber etwas kindlich rübergekommen.

Ich werde jetzt noch mal eine Diagnostik angehen, habe in einem Monat einen Termin bei einem Neurologen. Vielleicht kann er mich zu einer Klinik überweisen, wo es eine gute neurologische Abteilung gibt.

Liebe Grüße,
Trishka

Können Absencen eindeutig von Tagträumen abgegrenzt werden?

Sanktus Achzehn, Tuesday, 31.10.2023, 17:58 (vor 404 Tagen) @ Trishka

Hallo Trishka,

was du so beschreibst, klingt durchaus danach, als könnte da eine Epilepsie vorliegen. Wärst du nur abwesend gewesen, hätte dein Kurzzeitgedächtnis sicherlich in manchen Situationen noch Informationen abrufen können, nachdem du angesprochen wurdest, so das du zumindest kurz drauf gewusst hättest, dass du z. B. gestöhnt hast, vermutlich sogar, wieso. Du scheinst dich aber ja viel eher an das Gefühl, abwesend zu sein, zu erinnern, als an konkrete Dinge. Das klingt schon so ein bisschen nach Anfällen.

Psychisch bedingt: Sollte die Psyche tatsächlich eine Ursache sein - was absolut nicht sein muss - so ist trotzdem noch nicht geklärt, ob du psychogene Anfälle hast oder ob einfach der Stress epileptische Anfälle auslöst. Beides wäre denkbar. Das ist ein ziemlich kompliziertes Thema und kann wirklich eindeutig m. W. nur über ein EEG geklärt werden. Hast du während eines EEGs einen epileptischen Anfall, schlagen die Wellen eindeutig aus, während sie es bei einem psychogenen Anfall nicht tun. Von außen kann dagegen beides gleichermaßen aussehen. Deswegen in meiner letzten Antwort der Verweis auf den stationären Aufenthalt mit 48-h- / Langzeit-EEG, denn wenn man nur mal so eins macht, hast du ja nicht unbedingt just in dem Moment einen Aussetzer.

Wenn ich dir noch etwas raten darf (sofern du das nicht eh schon mit auf den Weg bekamst): Bitte zum einen alle Leute, denen du vertraust, dich mit dem Handy zu filmen, wenn ihnen mal wieder so ein "komischer Aussetzer" von dir auffällt. Es hilft Ärzten ungemein, wenn sie die Anfälle auch mal konkret anschauen können. Die Leute können währenddessen auch mit dir reden, damit man sehen kann, ob bzw. wie du reagierst. Sollte es jemanden geben, der deine "Zustände" schon ab und zu mal mitbekam und dem du vertraust, überlege dir, ob dich die Person beim nächsten Arztbesuch begleiten darf, sofern sie dazu bereit ist. Man selbst kann meist nur begrenzt informieren, während ein Außenstehender eher die ärztlichen Fragen zu den Anfällen beantworten kann. Und dann notiere ab sofort sämtliche "Zustände", wenn du sie hast, und bringe die Info beim nächsten Arztbesuch mit. Eventuell bekamst du bereits einen Anfallskalender. (Falls nein: Einfach mal in der Apotheke fragen, ob sie dir einen organisieren würden.) Ich würde an deiner Stelle aktuell aber neben den reinen Strichen auch noch tagebuchartig notieren, was drumherum war, wie du dich fühltest, was du noch weißt, so in dieser Art. Manchmal wird einem dadurch erst bewusst, dass es Strukturen gibt. Stress kann z. B. ein Auslöser sein; ich hatte allerdings früher viele Jahre lang immer Anfälle, wenn eben genau der Stress nachließ, ich also nicht mehr gefordert war. Eventuell bist du immer nur auf der Arbeit, wenn die Anfälle auftreten. Oder hattest in der Nacht vorher wenig Schlaf, hast schlecht gegessen, getrunken - irgendwelche Dinge eben, die man als (häufige oder immer auftretende) Parallelen womöglich feststellen kann. Die können, sofern sich welche finden lassen, ggf. durchaus hilfreich sein, schlicht, weil man dann bestimmte Auslöser womöglich gezielt reduzieren kann.

Ich wünsche auf jeden Fall viel Erfolg beim Herausfinden, was es denn nun wirklich ist.

Gruß,
Sanktus Achzehn