Beruf Lehrer und Epilepsie?

Mats, Thursday, 25.04.2024, 22:57 (vor 10 Tagen)

Ich stelle mich kurz vor: Ich bin 39 Jahre alt und lebe seit 10 Jahren mit einer Temporallappenepilepsie. Ich hatte einen einmaligen Grand-Mal-Anfall im Jahr 2014 und wurde vorerst mit Keppra behandelt. Jahrelang ging es mir nicht gut, jedoch war ich anfallsfrei. Ich habe von meiner freiberuflichen Tätigkeit als Audio/Video-Editor und DJ gelebt. Anfang 2018 glaubte ich nicht mehr an eine Epilepsieerkrankung und setzte das Keppra ab. Ich begann ein Studium voller Euphorie, jedoch kamen die Anfälle diesmal komplex-fokal. 2019 ließ ich mich dann im Epilepsiezentrum untersuchen, mit Überwachung von einer Woche; es wurde ein Hämangiom als eindeutig anfallsauslösend erkannt.

Im März 2020 wurde ich erfolgreich wegen eines Hämangioms am rechten Temporallappen/Gyrus Hippocampus operiert und wurde durch meine Operation anfallsfrei. Das Studium habe ich mit viel Mühe nur beendet, weil es wahrscheinlich während der Corona-Zeit gut gepasst hat. ich bin seit Oktober 2023 als Seiteneinsteiger in einer Berufsschule tätig. Bei der Einstellung habe ich nichts von meiner fast vierjährigen Anfallsfreiheit erwähnt. Ich konnte sogar das Medikament Vimpat fast absetzen. Seitdem die Schule in Teilzeitunterricht übergegangen ist, hat sich mein Gesundheitszustand verschlechtert. Nach 2-3 Monaten hatte ich wieder die erste Aura. Meine Frau war schwanger, und es war trotz der Teilzeitanstellung schwer. Meine Leitung war oft im Unterricht und hat mir, da ich mir mit ihr ein Fach teilte, danach immer ausführliches Feedback gegeben. Der Schulanfang war noch dramatischer: Ich erhielt einen Anruf, dass ich in 2-3 Stunden unterrichten müsste. Ich hatte in den letzten Monaten immer mit Infekten zu kämpfen. Seit vier Wochen hatte ich zwei kleine Anfälle nach dem Aufstehen. Beim ersten dachte ich noch, dass die Übernächtigung durch Schule und die Repevax-Impfung (4-fach) ausschlaggebend waren. Doch mit dem Nachwuchs kam noch ein kleiner fokaler Anfall dazu, beide im Bett und ein bisschen anders als vor der OP (komplex-fokal), eher ansprechbar.

Morgens stehe ich auf, und mir hat es bisher schon zweimal die Füße unter dem Boden weggezogen, jedoch erhole ich mich sofort nach einer halben Minute wieder. Ich gerade auf ein MRT. Vor einer Woche habe ich wieder die Dosis Vimpat gesteigert, jedoch frage ich mich, ob ich überhaupt einen Quereinstieg oder die Tätigkeit als Fachlehrer in Bayern wagen sollte, da ich gerade erst nach langer Zeit wieder Anfälle bekommen habe. Gibt es noch Lehrer oder Aussteiger mit Epilepsie? Ich wünsche mir gerade einen Homeoffice-Job, da auch der Nachwuchs da ist. Gut fühle ich mich nicht, jedoch bin ich gerade noch krankgeschrieben. Mein Neurologe, der mich kennt, rät mir zu einem Berufswechsel.

Beruf Lehrer und Epilepsie?

Anton, Friday, 26.04.2024, 15:27 (vor 9 Tagen) @ Mats

Hallo Mats,

ich kenne nicht nur Lehrer mit Epilepsie, sondern auch Ärzte mit dieser Erkrankung. Es kommt immer darauf an, wo man sich einsetzen lässt. Derzeitiger Vorteil: es fehlt an Personal. Der Arzt von dem ich rede, arbeitet in der Pathologie und empfängt die Patienten an ihren Füßen. Beim Lehrer ist es die Bürokratie, für die er abgestellt ist.

Wenn ich Deinen Post lese, ermutigt er mich zu einer Aussage. „Ein Leben mit Epilepsie ist nicht geeignet für permanentes Multitasking.“ Ich finde, Du hast zu viele Eisen im Feuer und solltest es ruhiger angehen lassen.

Bei der Operation ist die anfallsauslösende Stelle entfernt worden. Beziehungsweise die Ursächlichkeit der Anfälle. Jetzt wird von den Neurologen den Patienten gerne geraten, nach einer gewissen Zeit die Medikamente abzusetzen. Ich weiß von vielen Ärzten, dass das meist in die Hose geht. Ich kenne keinen Patienten, der nach dem Absetzen von Keppra (Levetiracetam) anfallsfrei geblieben ist, es sei denn, er hat danach das Nachfolgepräparat von Levetiracetam, Brivaracetam, bekommen.

Wenn dir beruflich was anderes mehr liegen sollte, solltest du wechseln, aber in eine Richtung, die dir liegt, genug Geld bringt und Sicherheit bietet. Was das Arbeitsamt anbietet, ist meistens überholt. Das bildet immer noch Bürokaufleute aus, obwohl wir die seit Jahrzehnten nicht mehr brauchen. Ich wünsche dir auf dem weiteren Weg viel Erfolg.

Liebe Grüße
Anton

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Die Informationen ersetzen auf keinen Fall eine professionelle Beratung oder Behandlung durch ausgebildete und anerkannte Ärzte. Die Inhalte können und dürfen nicht verwendet werden, um eigenständig Diagnosen zu stellen oder Behandlungen anzufangen.

Beruf Lehrer und Epilepsie?

Mats, Sunday, 05.05.2024, 00:13 (vor 15 Stunden, 45 Minuten) @ Anton

Hallo Anton,

vielen Dank für deine ausführliche Nachricht. Ich finde es interessant zu wissen, dass du Ärzte und Lehrer mit Epilepsie kennst. Ich finde, es ist nach wie vor ein stigmatisierendes Thema für viele Betroffene von uns. Deine Aussage ist ganz treffend, und ich merke aktuell, dass ich sehr viele Eisen im Feuer habe. Als Lehrer ist man zum Multitasking fast gezwungen, jedoch weiß ich nicht, ob es an der Epilepsie liegt, dass ich ständig abgelenkt bin. Ich wollte mich vor den Synkopen und dem neuen fokalen Anfall schon auf ADS testen lassen, also eher die nach innen gekehrte Variante.

Genau, die OP wurde erfolgreich 2020 in der Uniklinik durchgeführt, und ich war damit sehr zufrieden. Das Hämangiom wurde vollständig reseziert. Ein halbes Jahr später gab es noch ein MRT mit einem Langzeit-EEG in der Klinik. Nach zwei Tagen haben sie mich dort auch wieder entlassen. Vimpat hat mich im ersten Jahr nach der OP sehr schwindelig und verwirrt gemacht, weshalb ich die Dosis unbedingt reduzieren wollte, ein Jahr nach der OP. Danach wurde es besser, und ich lebte die letzten Jahre gut und anfallsfrei. Ich glaubte auch nicht an weitere Anfälle, das MRT und EEG sprachen auch für eine Absetzung in der Uni. Ich wollte dies auch und wurde mit einem "Aber" hingewiesen, dass es keine Garantie gibt. Die Geschichte mit Keppra und nicht anfallsfrei geblieben zu sein, kenne ich auch und habe das sogar nach der ersten längeren Abstinenz dann selbst gehabt. Hätte ich 2018 auf 2019 wieder Keppra eindosiert, wäre ich wahrscheinlich wieder anfallsfrei geworden, jedoch wollte ich das Medikament nicht, auch mit Valproat ging es nicht, erst Vimpat brachte minimal Linderung. Da ich vor der OP auch unter Vimpat nicht anfallsfrei war und nach der OP sofort, dachte ich auch nicht mehr daran, dass Vimpat überhaupt etwas helfen konnte.

Erst jetzt mit dem Job an der Schule, Schlafmangel, Infekten und zuletzt der Impfung brachte mich im März, also 4 Jahre danach erst wieder dazu. Nächste Woche suche ich das Gespräch mit der Leitung und habe nochmal einen Termin für ein EEG, was wie immer wahrscheinlich super ist. Mal sehen, ich hätte auch nichts gegen eine Reha. Auf eine Umschulung habe ich nach vier Jahren Bachelorstudium vorerst wenig Motivation. Geld und Sicherheit sind mir jedoch auch wichtig.

Schönes Wochenende