Absencen

Sanktus Achzehn, Thursday, 18.01.2024, 13:11 (vor 109 Tagen) @ malou

Hallo malou,

du siehst das richtig: Ziel sollte die Anfallsfreiheit sein. Grundsätzlich ist es so, dass man Medikamente nur ausprobieren kann. Es gibt ein paar Erfahrungswerte, welches Medikament in der Regel ganz gut bei dieser oder jener Anfallsart wirkt, aber ob es auch in diesem konkreten Fall so sein wird, kann man immer nur ausprobieren. Wenn ein Medikament nicht oder nur bedingt hilft, muss man weitersehen, indem man es noch einmal erhöht (sofern möglich), ein zweites ergänzt (das ggf. unterstützend wirkt), oder aber, indem man das Medikament wechselt. Nun kann es aber durchaus auch sein, dass ein Betroffener verschiedene Anfallsarten hat, von denen die Art mit den "größeren Problemen" mit einem Medikament bzw. einer Medikamentenkombination gut im Griff ist. Dann lässt sich ggf. nichts mehr erhöhen, weil eine höhere Dosis womöglich zu viel für den Körper wäre. Eine Medikamentenänderung wäre aber eventuell auch eher ungünstig, weil dann das, was man im Griff hat, womöglich wieder schlechter wird. Und noch ein weiteres Medikament oben drauf könnte eventuell hinsichtlich von Neben- und Wechselwirkungen zu viel werden, so dass man das auch lieber bleiben lässt. Man hat dann womöglich bereits den bestmöglich zu erreichenden Zustand. Man muss also schon immer auch sehr individuell schauen. Das hängt aber alles von den konkreten Anfallsarten ab und wie viele Medikamente schon ausprobiert wurden, wie das aktuelle Medikament vertragen wird, wie die Einschränkungen im Alltag aussehen, wie die Chancen stehen, dass ein aktuelles Medikament wieder wirken wird, wenn man erst mal etwas anderes ausprobiert usw. Was konkret Sache ist sollte ein Neurologe aber immer auch nachvollziehbar erklären können.

Das Problem ist allerdings häufig, dass das Gebiet der Neurologie sehr breit ist und viele niedergelassene Neurologen das Thema Epilepsie nur während der Ausbildung in ihren groben Grundlagen hatten. Entsprechend gibt es leider jede Menge Neurologen, die es erst mal mit einem Medikament versuchen, dann ggf. noch mal erhöhen, vielleicht sogar noch eins dazunehmen, und dann war es das aber, ob es half oder nicht. Das taugt natürlich nicht.

Was der Punkt im Falle deines Sohnes ist, weiß ich natürlich nicht, aber was du beschriebst klingt zumindest danach, dass viele Anfälle im Griff sind und dass die Dosis dank passender Einstellung auch nicht mehr erhöht werden sollte. Eventuell gibt es aber auch noch andere Wege, entsprechend schadet es so oder so nicht, mal über das grundlegende Ziel "Anfallsfreiheit" mit dem Arzt reden, denn womöglich gibt es noch andere Wege, die nur noch nicht ausprobiert wurden. Eventuell hat der Arzt aber auch gute Argumente dagegen. Deswegen mal reden und schauen, wie der Arzt reagiert und begründet, wenn er nicht Richtung Anfallsfreiheit weiter arbeiten möchte. Ist das alles nicht so recht nachvollziehbar oder ist dein Sohn anschließend immer noch unsicher, so soll er den Neurologen am besten um eine Überweisung zu einer Epilepsieambulanz bitten, einfach zwecks Zweitmeinung. Bzw. schadet eine Zweitmeinung so oder so nicht, selbst wenn dein Sohn die Erklärungen des Arztes nachvollziehen kann. In Bielefeld (Bethel), Bonn, Kork-Kehl, Berlin (Herzberge) und sicherlich noch in anderen Orten gibt es rein auf Epilepsie spezialisierte Kliniken mit Ambulanzen. Termine bekommt man dort nicht gleich übermorgen, deswegen den Termin eher früher als später vereinbaren. Sollte sich der Neurologe weigern, eine Überweisung auszustellen, wäre mein Rat, den Neurologen zu wechseln, sofern irgendwie machbar. Für Bielefeld reichten früher zumindest auch Überweisungen vom Hausarzt aus. Das wäre eventuell eine Variante für den Fall des Falles. Normalerweise sind Neurologen bezüglich der Überweisung aber auch offen, sofern man sie nicht unverschämt angeht und sie nicht am "Halbgott in Weiß"-Syndrom leiden.

Deine Formulierung "...oder soll ich mich nicht damit abfinden und den Arzt darauf ansprechen..." war eventuell unglücklich gewählt. Falls ja, ignoriere bitte diesen Absatz. Falls aber doch auch ein bisschen Alltag drin steckt, noch als nett gemeinter Hinweis: Wenn dein Sohn, von der Epilepsie abgesehen, gesund ist, ist er mit seinen 30 Jahren erwachsen und du solltest mit ihm maximal über deine Ängste, Infos und Gedanken sprechen, ihm ruhig auch Hilfe anbieten, aber ihm nichts aus der Hand nehmen, wie z. B. das Ansprechen des Arztes. (Der im übrigen gar nichts mit dir besprechen dürfte, da dein Sohn volljährig ist.) Die eigenen Kinder entscheiden sich oft anders als man selbst, und aus eigener Sicht betrachtet ist das fast immer auch falsch. :) Aber das sollte man akzeptieren, so schwer es einem auch fallen mag. Besser als Drängeln oder Vorwürfe (worauf es oft hinausläuft), sind Argumente für und gegen das ein oder andere, das Liefern von Infos, das Anbieten von Hilfe - und die Akzeptanz, wenn abgelehnt und anders entschieden wird.

Gruß,
Sanktus Achtzehn


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